Newsletter 03/2024 vom Verband der Deutschen Lederindustrie e.V.

 


Frauen in der europäischen Gerbindustrie: Gemeinsam die Lederindustrie verändern

 

 

Die gängige Meinung ist, dass Lederherstellung eine Männersache ist - und ja, noch sind die Männer in dieser Branche in der Überzahl. COTANCE hat sich deshalb aufgemacht und nach Frauen im Ledersektor Ausschau gehalten. Die Frauen, die man angetroffen hat, sind mindestens außergewöhnlich.

Am Weltfrauentag im März widmet COTANCE in Zusammenarbeit mit den Mitgliedern von VDL (Deutschland), UNIC (Italien) und FFTM (Frankreich) den Newsletter den mutigen und außergewöhnlichen Frauen, auf die man in europäischen Gerbereien treffen kann. Die persönlichen Geschichten dieser Frauen sollen andere Frauen ermutigen, anregen, auch Teil dieser dynamischen Branche werden zu wollen, eine Branche, die so viel zu bieten hat.

Der Gerbprozess (das Verwandeln von Häuten und Fellen in Leder) umfasst viele körperlich anstrengende Schritte, bei denen traditionell mehr Männer als Frauen tätig sind. Im Laufe der Jahre hat jedoch der technologische Fortschritt und Prozessinnovationen die körperliche Belastung der Arbeit verringert und so die Kluft zwischen den Geschlechtern verringert. Auch deshalb arbeiten heute mehr Frauen in Gerbereien.

Wie aus dem Sozial- und Umweltbericht 2020 der europäischen Lederindustrie hervorgeht, liegt der Anteil von Frauen in den Belegschaften europäischer Gerbereien heute bei etwa 25 %. Dieser Anteil steigt in bestimmten Unternehmen, in denen Frauen hochrangige Führungspositionen in den Bereichen Marketing, Kommunikation und Nachhaltigkeit besetzen, auf bis zu 50 %.

Deutlich ist auch die Präsenz von Frauen in einigen europäischen Lederverbänden, wo sie wie in Italien (UNIC - Concerie Italiane), Spanien (ACEXPIEL), Frankreich (FFTM), Ungarn (AHLI) oder Österreich (FV TBSL) Führungspositionen einnehmen. In Frankreich und Portugal sind es Frauen, die den Vorsitz dieser Organisationen haben.

COTANCE hatte die Gelegenheit, mit einigen dieser außergewöhnlichen Frauen aus der Gerbereibranche zu sprechen, die Erwartungen und Grenzen in diesem Sektor neu definieren. Es freut uns, dass wir diese Gespräche mit Ihnen teilen dürfen.

Frauen, die nasse Leder auf einer Trockenvorrichtung ausbreiten

Als Nachfahrin von Gerbern in vierter Generation hat Ulla Schiffers Leder im Blut. Seit 42 Jahren ist sie als Ledertechnikerin in der deutschen Lederindustrie tätig. Ihr größtes Ziel war immer, "den männlichen Kollegen beweisen, dass Frauen die gleiche Kompetenz und Ausdauer für diesen anspruchsvollen Beruf mitbringen".  

      
 
 
Leder wurde auch für Chiara Mastrotto zur Berufung, die nach einer juristischen Karriere beschloss, diese hinter sich zu lassen und in das Familienunternehmen einzusteigen. Dank ihrer partnerschaftlichen Führung und ihrer Fähigkeit, etwas zu bewegen, begann sie bei "Null" und avancierte erst zur Geschäftsführerin und dann zur Präsidentin der Gruppo Mastrotto. "Jeder Sektor, so auch die Lederindustrie, hat sicherlich seine Besonderheiten. Ich glaube jedoch, dass der wichtigste Aspekt im Hinblick auf die Chancen darin besteht, sich auf die Leistung zu konzentrieren. Wenn die Leistungen hervorgehoben werden und zum treibenden Faktor bei Einstellungen und Beförderungen werden, ist auch die Geschlechterfrage gelöst", sagt Chiara.


 

 

 

 

"Marie Hiriart Carriat ist die dritte Generation Gerber in der Gerberei Rémy Carriat ansässig in Espelette, im französischen Baskenland. Das 1927 gegründete, unabhängige Familienunternehmen beschäftigt 70 Mitarbeiter und ist auf die traditionelle Verarbeitung von Bullen- und Büffelleder für die Lederwaren-, Schuh- und Möbelindustrie spezialisiert. Im Juni 2023 wurde sie zur Präsidentin der Fédération Française de la Tannerie Mégisserie (FFTM) gewählt.

"Die Gerberei REMY CARRIAT war schon immer ein Ort, an dem Frauen eine wesentliche Rolle gespielt haben. Meine Großmutter gründete die Gerberei gemeinsam mit meinem Großvater Rémy Carriat. Während er sich auf die Produktion konzentrierte, kümmerte sie sich um die Verwaltung. Viele Jahre lang arbeitete meine Mutter an der Seite meines Vaters und trug wesentlich zum Erfolg und zur Führung der Gerberei bei. 1992 begann ich mit meinem Vater zu arbeiten, zunächst als Verkaufsassistentin, bevor ich 1999 die Leitung des Unternehmens übernahm", sagt Marie.

 

Im Folgenden, Auszüge aus den Gesprächen
Wir haben gefragt, wie viele Frauen sind in ihrem Unternehmen / ihrer Gerberei beschäftigt? Könnten sie, wenn möglich, den Prozentsatz der weiblichen Beschäftigten in der Gerberei mit dem Prozentsatz der Frauen auf der Führungsebene vergleichen?

Ulla: "Ich arbeite seit vielen Jahren in der chemischen Zulieferindustrie und biete Gerbereien in Europa technische Unterstützung. In diesen Bereichen gibt es kaum andere Ledertechnikerinnen. Der Anteil der Frauen in diesem Beruf liegt vielleicht bei maximal 5 %. In unserem Unternehmen bin ich die einzige Frau im technischen Support mit mehreren männlichen Kollegen".

Chiara: "In der Gruppo Mastrotto stellen Frauen derzeit etwa 26 % der Beschäftigten in der Fabrik und 51 % der Büroangestellten. In den Spitzenpositionen erreichen wir über 57 % weibliche Führungskräfte und unter den Vorstandsmitgliedern haben wir eine perfekte Geschlechterparität".

Marie: "In der Gerberei Rémy Carriat arbeiten heute 8 Frauen in der Produktion, 3 in der Qualitätskontrolle und 5 in der Verwaltung, also insgesamt 16 der 75 Beschäftigten des Unternehmens. Dies entspricht 21 % unserer Belegschaft. Bestimmte Positionen, wie die in unserem Handpatinier-Studio und die in der Qualitätssicherung, sind ausschließlich mit Frauen besetzt".

Handpatinierung in der Gerberei Remy Carriat, Frankreich

Handpatinierung in der Gerberei Remy Carriat, Frankreich

 

Die Lederindustrie steht wegen ihrer Umwelteinflüsse in der Kritik. Wie kann die Branche und insbesondere Frauen ihrer Meinung nach zu noch mehr Nachhaltigkeit beitragen?

Chiara: "Unsere Branche hat in den letzten Jahren große Fortschritte im Bereich der Nachhaltigkeit gemacht, wobei Unternehmen wie die Gruppo Mastrotto mit gutem Beispiel vorangehen und die Nutzung von Wasser und Chemikalien reduzieren, in Recyclinginitiativen und in die Beschaffung erneuerbarer Energien investieren. Durch das Fördern von Innovationen und die Einführung nachhaltigerer Gerbverfahren stellen wir unser Engagement für den Umweltschutz unter Beweis. Frauen können der Dreh- und Angelpunkt sein, wenn es darum geht, diesen Wandel voranzutreiben, indem sie sich für solche verantwortungsvolle Produktionen aussprechen und sich bei den beteiligten Gruppen für das Vorantreiben der Nachhaltigkeit einsetzen".

Ulla: "Den Verbrauchern muss man deutlich machen, dass Leder ein extrem langlebiges Produkt ist. Im Hinblick auf die Nachhaltigkeit trägt es in Form von "Slow Fashion" bei. Wir alle, die wir in der Lederindustrie arbeiten, egal ob Frauen oder Männer, müssen unser Bestes tun, um die Ressourcen zu schonen und Umweltverschmutzungen zu vermeiden".

Marie: "Die Lederindustrie sieht sich oft der Kritik von Personen ausgesetzt, die sich weder mit unserem Material noch mit unserer Produktion auskennen. Es wird zukünftig aber entscheidend sein, diese Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, unabhängig vom Geschlecht. Wir sind eine Branche, die sich streng an REACH hält (Chemikalien-Vorschriften), sich für die Umwelt einsetzt und die soziale Verantwortung unter Beweis stellt. Trotzdem leiden wir an einem erheblichen Imagedefizit und mangelnder Unterstützung auf europäischer Ebene. In Ländern wie Frankreich und Italien wird die Bezeichnung "Leder" durch Verordnungen geschützt und bewahrt, was einen gewissen Schutz für unsere Produkte bedeutet. Diese Art der regulatorischen Unterstützung fehlt jedoch auf europäischer Ebene, wodurch eine Lücke in unserer Wettbewerbsfähigkeit entsteht".

Welchen Rat würden sie jungen Frauen geben, die in die Lederindustrie einsteigen möchten?

Chiara: "Mein Rat ist, die Chancen zu ergreifen, die sich durch Lernen und Innovationen bieten, und unerschrocken zu sein, wenn es darum geht, Klischees zu hinterfragen, und sich aktiv um Mentoren und Netzwerke zu bemühen. Unsere Branche bietet ein dynamisches Umfeld, in dem Nachhaltigkeit, Handwerkskunst und Technologie zusammenfließen, und bietet damit eine breite Basis für berufliches Vorankommen und Mitgestalten. Indem sie sich für Chancengleichheit, Nachhaltigkeit und Innovation einsetzen, können Frauen eine maßgebliche Rolle bei der Gestaltung der Zukunft der Lederindustrie spielen".

Ulla: "Ich habe meine Berufswahl nie bereut und bin auch heute noch begeistert von der Arbeit in der Lederindustrie. Diese Branche beeindruckt durch ihren äußerst familiären Charakter, ihr Miteinander und die vielfältigen Karrieremöglichkeiten".

Marie: "Ich würde jungen Frauen zunächst raten, egal ob sie sich schon dafür interessieren oder nicht, sich diese Welt anzusehen. Das Gerben ist ein Beruf, der es verdient, erkundet zu werden. In der Vergangenheit war dieser Beruf aufgrund der körperlichen Anforderungen beim Umgang mit großen, schweren Ledern, vor allem in Rindergerbereien wie der unsrigen, eine Männerdomäne. Die Branche hat sich jedoch im Laufe der Jahre stark gewandelt und ist für Frauen wesentlich attraktiver geworden, insbesondere durch die Mechanisierung einiger Arbeitsplätze. Die Gerberei bietet eine Fülle von Karrieremöglichkeiten, sei es in der Produktion, in der Farbgebung, im Produktdesign, in Forschung und Entwicklung, in der Qualitätskontrolle, im Kundendienst, im Umweltmanagement oder im Bereich der sozialen Verantwortung von Unternehmen... und die Liste lässt sich fortsetzen! Es gibt so viele Möglichkeiten, wie Sie Ihre Fähigkeiten einsetzen und Ihre weibliche Note in die aufregende Welt der Tannine einbringen können".

Die traditionell als männerdominiert wahrgenommene Lederindustrie erlebt einen Wandel, bei dem Frauen zunehmend Schlüsselrollen einnehmen.

Ulla Schiffers, Chiara Mastrotto und Marie Hiriart Carriat sind Beispiele dafür, wie sich Frauen in die Lederindustrie einbringen. Ihre Geschichten über Engagement, Ehrgeiz und Erfolg stellen Klischees in Frage und verdeutlichen die Bedeutung von Leistungsorientierung, Führung und Nachhaltigkeit.

Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Gerbereien sind nicht nur ein Ort der Möglichkeiten für Frauen, sondern auch ein Sektor, in dem sie bereits viel erreichen und Veränderungen bewirken. Indem wir ihre Leistungen beleuchten, können wir vielleicht weitere Frauen dazu inspirieren, sich dieser spannenden und sich entwickelnden Welt des Leders zu verschreiben.

 

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